Laganburthr

„Hier verschmolzen die Sippen
von Kirkjas und Kenerik

zu derer von Geiranger
Ich, Lagan, schrieb diese Worte“

So steht es geschrieben auf Lagans Stein, welcher in der Mitte unseres Dorfes steht.

Lagans Stein steht dort mahnend und läßt uns alltäglich an unsere Wurzeln denken. Wurzeln, die tief in den Strom der Zeit reichen und an Orte jenseits unseres kleinen Dorfes führen. So weit reichen sie, daß sie unsere Erinnerungen über viele Generationen hinweg und über das Meer hinaus in längst vergessene Länder führen. Erinnerungen voll Weisheit, welche uns von je her ein sicherer Leitfaden im Strom der Zeit waren.

Doch lauschen die Ohren der Jugend heute weit weniger der Worte der Alten, als dies zu früheren Zeiten der Fall war. Wenig nur erklingen noch die Sagen an den Feuern der Hallen. Sie machen vielmehr den Verlockungen der Gegenwart platz, den schnöden Erzählungen und Verblendungen von Reichtum und Laster entfernter Länder. Vergessenheit bedroht unsere eigene Geschichte und die Taten unserer Ahnen werden kaum noch gerühmt.

Gleichwohl liegen große Gefahren in diesem Tun, Gefahren wie sie uns früher schon einmal bedrohten und den Sturz in die Vergessenheit bedeuteten. Wurzellos trieben wir bereits einstmals durch das Meer der Zeit und es hätte unseren Untergang bedeuten können. So will ich Euch nun unserer Geschichte erzählen, auf daß sie niemals in Vergessenheit falle…

Von Anbeginn der Tage

Es begann, als der Schnee schon in der letzten Hälfte des Ernting (August, der Erntemonat), zu fallen begann und die Hoffnungen und die Arbeit eines Jahres unter sich begrub. Die Speicher und Lager waren längst noch nicht gefüllt, als die Geister des Frostes ihre grausame Macht offenbarten. Herausgefordert von den Menschen führten Sie einen Krieg gegen jegliches Leben und so stürzten sie die alte Heimat in ihre Vernichtung.

Dereinst vor vielen Generationen, in jenem fimbulhaften Winter, als es schien, daß das Land nie mehr die Fesseln des ewigen Frostes würde abwerfen können und bitteres Leid über Mensch und Tier kam, in jenem Jahr also kam es, daß die Sippen von Kirkjas, Rikar und Ulvelaik ihre Heimat verließen und ihr Glück versuchten. Ihr Geburtsland wart eine Wüste aus ewigem Eis geworden, so daß sie alle großen Hunger litten. So bestiegen sie ihre Schiffe und sagten Lebewohl zu jenem Ort, der einstmals ihre Heimat war. Ein frostiges, stilles Land verließen sie, um in eine ungewisse Zukunft zu fahren.

Als sie nun sechs Tage auf rauher See verbracht hatten, da kam ein gewaltiger Sturm auf und Ägirs finsterer Zorn drohte sie alle zu vernichten. Denn wenig bis nichts war Ihnen geblieben und so fehlte es an den nötigen Opfergaben. Wände aus brausendem Wasser rollten die Schiffe hin und her. Die dunklen, aufgewühlten Fluten verschlangen viele aus den drei Sippen. In ihrer großen Not riefen die Hersire nun die Götter an, doch lange schien es ihnen, daß ihr Rufen nicht erhört wurde.

Doch gerade, als alles verloren schien und Rikars Langschiff in den Fluten versank, da war der Zeitpunkt an den sie sich an Freyr wandten. Es muß die Hoffnungslosigkeit ihrer Stimmen gewesen sein, die das Herz des Gottes rührte. Ein einziger Sonnenstrahl durchdrang die finsteren Wolken und fiel alsbald auf die nahe liegenden Klippen. Voll Freude aber auch Verzweiflung lenkte Kirkjas sein Schiff geradewegs darauf zu, so hoffte er doch, daß wenigsten einige wenige seiner Sippe überleben mögen. Planken ächzten, Taue rissen, Ruder brachen und es ward dunkel um Kirkjas Gedanken.

Als nun Kirkjas später wieder zu sich kam, da lag er in warmen Decken gehüllt. Er fand sich in einem kleinen Langhaus wieder, denn Freyrs Arm hatte sein Schiff gelenkt und so wurde sein Schiff in die sicheren Gefilde eines kleinen Fjordes gesteuert. Als er nun aufstand und das Haus verließ, empfing ihn kein Sturm mehr, noch des Winters eisige Kälte. Lange hatte er geschlafen und mit dem Tode gerungen, doch Freyr hielt seine schützende Hand über ihn und die Reste seine Sippe.

Das Frühjahr war endlich angebrochen und der Schnee taute bereits unter den warmen Strahlen der Sonne. Der Fjord, in welcher sein Schiff getrieben war, war indes nicht unbewohnt, sondern es lebte hier eine gutherzige Sippe, deren Anführer der junge Kenerik, Sohn des Asmund, war, ein beherzter junger Mann mit klarem Blick und weisem Rat. Es war Kenerik, welcher sie aufnahm, als Kirkjas und seine Sippe halb erfroren, halb ertrunken anlandete. Er selbst pflegte den kranken und erschöpften Kirkjas zwei Monate lang, bis die Sonne endlich die Herrschaft des Eises brach.

Kirkjas war voller Dank für die Rettung seiner Sippe und so brachte er Freyr alsbald ein großes Opfer dar und er schwor, daß seine Sippe sich dieser Gnade als würdig erweisen würde. Noch heute steht unser Geschlecht in der Schuld gegenüber dem mächtigen Wanen und ist sich dessen stets bewußt.

Nicht geringer war sein Dank an Kenerik, den er schnell lieb gewonnen hatte, als wäre er sein eigen Fleisch und Blut. Es erfreute sein Herz, die erblühende Liebe zwischen dem jungen Mann und seiner Tochter Mæva zu erblicken und so stimmte er ihrer Hochzeit am ersten Jahrestag ihrer Anlandung zu.

Voll Glück war diese Ehe, der alsbald weitere folgen sollten. Auch ging aus dieser Beziehung ein Sohn hervor, ein Erbe, welcher die Linien beider Stämme miteinander verwob. Es war zu Mitsommer, als er das Licht der Welt erblickte und mit lauter, kräftiger Stimme sein Recht forderte.

Es heißt, daß zur gleichen Zeit drei Wunder geschahen. So wusch eine Magd die Wäsche in den Wassern des Storefossen, als ein gewaltiger Lachs ihr in die Arme sprang. Es war der erste Lachs des Jahres und der Vorbote des Beginns der Lachssaison, welche in diesem Jahr außergewöhnlich reich war.

Das zweite Zeichen geschah auf den saftigen Hängen der Hochebene, als alle trächtigen Tiere einer Herde zur gleichen Zeit die Lämmer gebaren. Sie waren heilige Tiere und keines von Ihnen wurde je geschlachtet. Späterhin waren alle Nachkommen jener Tiere von ausgefallener Güte.

Das dritte und letzte Zeichen indes war das Erscheinen zweier Raben, welche in dem Geäst des Thingbaums Ihr Nest bauten.

So ward er geboren unter großen Zeichen, Lagan, der Sproß Keneriks und Mævas, welcher man später den Kühnen nannte, der Stammvater eines neuen Geschlechts. Sie benannten Sippe nach dem Dorfe in dem sie lebten und ihr Zeichen wurde nach dem Reichtum, welcher der Fjord ihnen gewährte und nach dem dieser benannt wurde, ein springender Lachs.